Die Ringparabel aus Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing ist Thema im Ethikunterricht (G8) an bayerischen Gymnasien in der 7. und in der 10. Klasse.
In der 7. Klassenstufe geht es um die Geschichte und die Frage, wie sich die drei Söhne als Vertreter der drei Weltreligionen verhalten müssten, wenn der Ring tatsächlich diese Wirkung hat, dass nämlich der Ringträger allen Menschen gut und angenehm erscheine.
Den richtigen Ring hat also der Sohn, der von allen anderen Menschen (und von Gott) geliebt wird. Eine Religion, die nicht „geliebt“ wird, kann also nicht die richtige sein. An den Taten soll man also die Menschen mit der richtigen Religion erkennen. An dieser Stelle wird die Argumentation gedreht. Wer sich so verhält, dass die anderen Menschen meinen, man hätte den echten Ring, der hat ihn auch. Ein Wettstreit darum, möglichst viel Gutes zu tun, soll die Folge sein. Gleichzeitig wird damit Toleranz angemahnt und eingefordert. Es wird – sehr vereinfacht – unterstellt, dass die drei Weltreligionen doch irgendwie gleich seien.
Dass sie es objektiv von ihren Lehrinhalten nicht sind und alle einen Alleinvertretungsanspruch geltend machen, wird hier nicht erwähnt.
In der 10. Klasse wird das Thema verfeinert. Nathan eröffnet das Problem mit den Sätzen, in denen er die Kraft des Ringes beschreibt:
„Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. (…)“
Das interessante ist also, dass der Ring nur seine Wirkung entfalten kann, wenn man an ihn glaubt.
Das erwartete Verhalten kann von den nachgemachten Ringen also nicht automatisch hergestellt werden. Man muss auch daran glauben. Aber (!), man hat keinerlei Beweise dafür, dass man den richtigen Ring bzw. die richtige Religion hat.
Lessing lässt den Nathan die Lösung des Problems von einem Richter vortragen:
„Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei
Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selbst nur
Am meisten? – O so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. (..)“
Die drei Religions-Vertreter müssen also angeben, wen von den dreien sie am meisten lieben. Das ist reine Logik. Die beiden mit dem falschen Ring müssen den mit dem echten Ring einfach „unwiderstehlich sympathisch finden“.
Dem ist aber nicht so! Also sind alle Ringe falsch. Es gibt also keine „wahre“ Religion. Es gibt nur Menschen, die glauben, dass sie die richtige Religion haben.
Was also tun?
Lessing lässt den Richter einen Rat geben:
„Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! (..)“
Zwei Botschaften sind damit in die Welt gesetzt.
Eine wahre Religion gibt es nicht. Alle drei Religionen können den Gläubigen keine Sicherheit geben. Man muss eben daran glauben.
Aber die Religionen können darum wetteifern als die „wahre“ Religion zu erscheinen – und zwar durch ihre Taten.
Ein wirklich empirisches Verfahren mit Ergebnissen, die jeder vergleichen und bewerten kann.
tmd.